Interview mit Dr. Roland Tenbrock (Praxisgemeinschaft Orthonatura/Düsseldorf)
Düsseldorf – Dr. Roland Tenbrock nutzt die Online-Videosprechstunde bereits seit Mai 2018. Der niedergelassene Orthopäde und BVOU-Landesvorsitzende Nordrhein berichtet im Interview über seine Erfahrungen.
Herr Dr. Tenbrock, Sie sind in Bezug auf die ärztliche Videosprechstunde ein Mann der ersten Stunde. Wie kam es dazu?
Dr. Roland Tenbrock: Auf der einen Seite empfinde ich es als einen tollen Service, meinen Patienten die teilweise lange Anreise zu ersparen – und vor allem die Parkplatzsuche an einem so exponierten Praxisstandort wie bei uns in Düsseldorf-Oberkassel. (lacht)
Auf der anderen Seite betreue ich seit Jahren viele Patienten, die sich regelmäßig außerhalb Deutschlands aufhalten und auch dort nicht auf meinen Rat verzichten wollen. Auf diesem Weg ergeben sich zusätzlich Anfragen von Patienten aus dem Ausland. Da sind kreative Lösungen gefragt. Daher kam mir die Lockerung des Fernbehandlungsgesetzes Ende Mai 2018 sehr gelegen.
Aber insbesondere Sie als Orthopäde müssen den Patienten doch in der Regel anfassen, um ihn zu behandeln, oder?
Dr. Tenbrock: Grundsätzlich gebe ich Ihnen da Recht, schon damals galt der Grundsatz: „Am Telefon und durch die Hose stellt man keine Diagnose.“
Allerdings gibt es eine Vielzahl ärztlicher Leistungen, die sich optimal per Videosprechstunde erledigen lassen. Ich denke hier zum Beispiel an die Besprechung von Schmerzverlaufsprotokollen, die visuelle Inspektion von post-operativen Wundheilungsprozessen oder die Beurteilung von veränderten Bewegungsumfängen nach Verletzungen der großen Gelenke. Darüber hinaus ziehe ich die Videosprechstunde dem Telefonat häufig vor, da man dadurch mehr zwischen den Zeilen lesen kann. Dabei meine ich zum Beispiel Körperhaltung, Hautfärbung oder Mimik der Patienten – ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte.
Erfahrungsgemäß ist es immer schwierig, neue Prozesse in einen gut funktionierenden und etablierten Praxisalltag einzuführen. Wie ist Ihnen das gelungen?
Dr. Tenbrock: Zunächst habe ich mir Gedanken gemacht, an welcher Stelle ich einen Arzt-Patienten-Kontakt sinnvoll durch die Videosprechstunde ersetzen kann. Darum haben wir einfach so getan, als wäre der Patient in der Praxis vor Ort. Konkret heißt das, dass mir meine Angestellten ein iPad in einen unserer Behandlungsräume stellen. Wenn ich dort hinein gehe, befindet sich mein Patient bereits im virtuellen Warteraum. Über einen Klick stelle ich die Verbindung her und führe die Beratung per Video durch. So sind die Prozesse klar definiert und stark an den bereits bekannten Ablauf angelehnt. Natürlich geht das nur, wenn man eine intuitiv bedienbare Anwendung nutzt, die keine komplizierte Installation oder spezielle Hardware erfordert. Unser Anbieter stellt mir sogar ein iPad dafür zur Verfügung.
Das hört sich zunächst sehr einfach an. Lohnt es sich denn auch finanziell?
Dr. Tenbrock: Mir persönlich geht es in erster Linie eher darum, neue Wege zu gehen und mich als innovativer Gesundheitsdienstleister und -experte zu positionieren. Trotzdem wollen wir als Praxis natürlich auch Geld verdienen. Bei Privatpatienten rechnen wir ganz normal nach GOÄ die Ziffern 1, 3, 4 und 5 ab. Auch die gängigen Zuschläge und erhöhenden Faktoren je nach Zeitaufwand können angesetzt werden.
Auch Konsile mit Kollegen – Ziffer 60 – und die Einleitung flankierender therapeutischer Maßnahmen, z.B. auch Gespräche mit Verwandten nach Ziffer 15 können per Videosprechstunde erledigt werden. Das von mir genutzte Programm bietet sogar einen Konfigurator, um die entsprechenden Positionen sinnvoll darstellen zu können. Das hilft mir insbesondere bei der Preisgestaltung von IGeL-Leistungen. Diese können zukünftig übrigens auch direkt durch meinen Anbieter abgerechnet werden…
Bei GKV-Patienten geht es – wie in so vielen Bereichen – aktuell nur um Kostendeckung. Zu diesem Zweck wurden im EBM extra zwei neue GOP geschaffen: Über die 01450 gibt es für jede Videosprechstunde einen Technikzuschlag von 4,21 Euro. Dieser wird für bis zu 50 Videosprechstunden im Quartal gezahlt, auch mehrmals im Behandlungsfall. So erhalten wir ungefähr 800 Euro jährlich pro Arzt. Schon bei zwei Videosprechstunden pro Woche rechnet sich das also bereits…
GOP 01439, also die Betreuung eines Patienten im Rahmen einer Videosprechstunde, wurde analog zum telefonischen APK ergänzt. Sie kann zusätzlich zum Technikzuschlag einmal je Behandlungsfall abgerechnet werden, wenn der Patient im aktuellen Quartal nicht vor Ort vorstellig wurde. Das funktioniert allerdings nur bei Bestandspatienten, die in den vorangegangenen zwei Quartalen mindestens einmal persönlich bei mir in der Praxis waren.
In zahlreichen weiteren Behandlungsfällen, die mindestens drei persönliche APK voraussetzen, lassen wir einen dieser Kontakte im Rahmen einer Videosprechstunde stattfinden. Dies gilt unter anderem für die Behandlung von Wunden, eines Decubitus oder Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates.
Gibt es weitere Abrechnungsmöglichkeiten außerhalb der klassischen ärztlichen Vergütung?
Dr. Tenbrock: Ja, die gibt es. Ich steuere zum Beispiel regelmäßig Patienten in das Behandlungskonzept “Konservative Alternative bei drohenden Operationen“ im Rahmen der besonderen Versorgung (Anm. d. Red.: gemäß §140a SGB V) ein. Hier sind Konsultationen per Videosprechstunde bereits als fester Bestandteil integriert. Konkret kontaktiere ich den Patienten z.B. während einer physiotherapeutischen Behandlung, um gemeinsam mit dem Therapeuten in einem interdisziplinären Ansatz den weiteren Therapieverlauf festzulegen.
Neben der hohen Akzeptanz auf der Patientenseite verbessert es auch die Kommunikation mit den Gesundheitszentren, eine klassische Win-Win-Situation – und mir werden je absolvierter Untersuchung á 3-8 Minuten per Videosprechstunde 50,- € extrabudgetär vergütet.
Und wie sehen Sie die Zukunft der Videosprechstunde? Ändert sich die Bedeutung aus Ihrer Sicht im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung im Gesundheitsmarkt?
Dr. Tenbrock: Das wichtigste vorne weg: wir dürfen uns nicht in einen Digitalisierungswahn begeben, sondern müssen mit Bedacht und Weitblick beurteilen, was tatsächlich sinnvolle Verbesserungen sind.
Unser Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war bereits im Mai 2018 ein Befürworter der Erlaubnis zur Fernbehandlung und hat nun auch angekündigt, dass es das e-Rezept bis spätestens 2020 geben soll. Wenn er die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter vorantreiben will, sind die nächsten Schritte sicherlich eine Ausweitung der Indikationen und eine bessere Bezahlung der Videosprechstunde.
Die sofortige Verfügbarkeit wichtiger medizinischen Daten wie EKG´s, Laborwerte oder radiologische Befunde aus der Telematik-Infrastruktur in der Videosprechstunde wird dafür sorgen, dass es ein dauerhaftes Erfolgsmodell wird. Das kann langfristig zum Beispiel über die digitalen Patientenakten funktionieren.
Und weil die Nachfrage auf der Patientenseite groß ist bin ich sicher, dass wir uns gerade erst am Anfang einer großen Entwicklung befinden.
Vielen Dank für das Gespräch, wir wünschen Ihnen und Ihrem Team einen guten Start in das neue Jahr.
Das Interview führte Tim Schneider, Zava Sprechstunde Online GmbH, Essen.