© Foto: Andrea Katheder/AOK Nordost
Frau Teichert, die Digitalisierung ist ins Gerede gekommen, weil sich Unbefugte Zugang zur Datenautobahn des Gesundheitswesens verschaffen konnten. Ein Rückschlag?
Das, was der Chaos Computer Club gemacht hat, würde heute so ohne Weiteres nicht mehr gehen. Grundsätzlich muss man technisch natürlich immer dazulernen. Aber klar ist: Die Digitalisierung ist nötig, sie macht eine bessere Versorgung möglich – weil Ärzte wissen, was andere Ärzte unternommen, welche Medikamente sie verschrieben haben. Natürlich muss das so sicher wie nur möglich organisiert werden, gleichzeitig aber für Ärzte und Versicherte bedienerfreundlich angelegt sein. Und: Der Patient muss Herr seiner Daten bleiben.
Die Digitalisierung soll ja auch die medizinische Versorgung im ländlichen Raum verbessern.
Das wird sie bestimmt. Unsere Tests etwa mit Videosprechstunden werden sehr gut angenommen. Je größer das Angebot ist, desto mehr werden die Patienten darauf auch zurückgreifen. Wenn die Brandenburger Ärzte als einzige in Deutschland meinen, sie müssten keine Videosprechstunden abhalten, werden sie sehen: Digitalisierung kennt keine Bundesländergrenzen. Der Patient sucht sich dann seinen Arzt woanders.
Gesundheitsminister Spahn legt ja ein hohes Tempo vor, die elektronische Patientenakte etwa soll 2021 starten. Ist der Termin zu halten?
Ich bin davon überzeugt: Es geht. Generell finden wir Dynamik gut, gerade in Sachen Digitalisierung. Denn das ist überfällig – in den Arztpraxen regiert ja immer noch der Fax-Standard. Natürlich gefällt uns längst nicht jedes Gesetzesprojekt des Ministers. Wenn wir etwa in Zukunft fachlich falsche Abrechnungen von Krankenhäusern bezahlen sollen, weil eine bestimmte Prüfquote überschritten wurde, können wir das nicht gut finden.
Stichwort Krankenhäuser: In Ballungsräumen gibt es viel zu viele, auf dem Land zu wenig. Was müsste man an der Struktur ändern?
Wir können nicht mehr weiter in ambulant und stationär denken. Es geht um medizinische Versorgungsstandorte, entsprechende Pilotprojekte gibt es ja, etwa in Templin. Eine länderübergreifende Krankenhausplanung, wie in Berlin und Brandenburg geplant, kann zwar etwas helfen, bahnbrechende Veränderungen gelingen damit aber noch nicht. Da muss mehr passieren. Diese Diskussion müssen wir ehrlich führen.
Warum?
In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben wir eine demografische Entwicklung, die werden andere Länder erst in ein paar Jahren verspüren. Wir brauchen zukunftsfähige Strukturen, damit die Versorgung in diesen ländlichen Regionen weiter funktioniert und für die Krankenversicherung zugleich finanzierbar bleibt, was ich in Deutschland im Übrigen für einen wichtigen gesellschaftlichen Wert halte.
Die Krankenkassen sind in die Miesen gerutscht, weitere große Kostensteigerungen sind abzusehen. Wie wird sich das auf Ihre Beiträge auswirken?
Wir haben 2020 mit stabilem Beitrag geplant. Weitere Kostensteigerungen sind aber absehbar, im Laufe des Jahres werden wir uns das anschauen.
Wird Ihnen in diesem Zusammenhang angst und bange vor der Zwei-Millionen-Spritze und ähnlich teuren Medikamenten in der Zukunft?
Wenn es bei uns ein Kind mit dem sich schnell verschlimmernden Muskelschwund geben sollte, gegen den Zolgensma helfen soll, würden wir den Einzelfall natürlich auch prüfen, obwohl das Mittel bei uns noch nicht zugelassen ist, und gegebenenfalls bezahlen. Wie aber sollen das kleine Kassen machen? Und generell muss man sich doch fragen, ob ein Pharmakonzern seine Studienphase zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung organisieren kann. Und wie er seine Preise kalkuliert. Das ist eine ethische Diskussion, die wir endlich führen müssen.
Seit 1. Januar sind Sie die Chefin. Gibt es ein Projekt, das Sie sofort anpacken möchten?
Wir sind als Kasse seit Jahren bei Innovationen, Digitalisierung immer vorn mit dabei. Ich war in den vergangenen Jahren in der Geschäftsleitung an den entscheidenden Weichenstellungen mit beteiligt. Da wäre es komisch, wenn ich nun verkünden würde: Jetzt kommt ein Projekt, von dem noch niemand zuvor gehört hat.
Es wird ja oft beklagt, dass es zu wenige Frauen und zu wenige Ostdeutsche in Führungspositionen gibt. Nun sind Sie auch noch beides. Hatten Sie es schwerer? Oder hat das für Sie gar keine Rolle gespielt?
Ich habe mir darüber kaum Gedanken gemacht. Ich habe in diesem Unternehmen, mit 5500 Mitarbeitern einem der größten Arbeitgeber im Nordosten, erlebt, dass man als Frau, als Mutter Beruf und Familie unter einen Hut bekommen kann. Ja, ich wollte gern Verantwortung übernehmen. Dass es mich bis an die Spitze geführt hat, war aber nie mein Plan.
ZUR PERSON
Daniela Teichert, Jahrgang 1972, ist seit mehr als 25 Jahren für die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) tätig. Ihre Berufslaufbahn startete sie 1990 nach ihrer Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten in Cottbus bei der damaligen AOK Brandenburg, wo sie bereits mit 22 Jahren erste Führungsaufgaben übernahm. Nach Ihrem Gesundheits- und Sozialökonomie-Studium war Teichert in weiteren Leitungsfunktionen tätig. Seit April 2016 war sie Mitglied der Geschäftsleitung, seit Jahresbeginn ist sie Vorstandsvorsitzende der 2011 entstandenen AOK Nordost. Daniela Teichert ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Zugriff am 06.01.2020 um 7:55 Uhr unter https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/artikel-ansicht/dg/0/1/1776153/